Wissenschaft und Forschung
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Seit 2019 bin ich im Ruhestand. Bis dahin beschäftigte ich mich mehr als 30 Jahre lang mit der Analytischen Mikroskopie insbesondere im Bereich der Bau- und Werkstoffe.

Angefangen hat alles schon während meines Studiums der Physik an der Universität Münster. Dort hatte ich bereits im zweiten Semester als Wahlfach die Medizinische Physik gewählt, in der unter der Leitung von Prof. Pfefferkorn intensiv angewandte Forschung mit der Elektronenmikroskopie betrieben wurde. Ich habe mich sofort in die Rasterelektronenmikroskopie (REM) verliebt und bin dem mein Leben lang treu geblieben.

Prof. Dr. Rochus Blaschke
Prof. Dr. Rochus Blaschke (1930-2019)

Ich war als Student Prof. Blaschke zugeordnet, der sich als Mineraloge mit Nierensteinen beschäftigen sollte (ich hatte noch einen Job bei Prof. Wosiewitz und untersuchte Gallensteine). Bla (so nannten wir ihn liebevoll) interessierte sich schon damals sehr für die Abbindeprozesse im Beton und hatte dazu immer Filmdosen mit unterschiedlichen Wasser-Zement-Werten auf der Fensterbank seines Büros stehen, die er dann im REM untersuchte. Als er eines Tages seine Forschungsergebnisse vor einem Fachpublikum aus der Baustoffindustrie in Mülheim/Ruhr vorstellte, sollte ich ihn begleiten und Rot-Grün-Brillen im Auditoriums verteilen (und anschließend möglichst vollständig wieder einsammeln). Sein Vortrag war mit stereomikroskopischen Aufnahmen angereichert, die für sehr viel Aufmerksamkeit sorgten. Im Publikum saß ein gewisser Dr. Hartmut Schulze vom BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie), der uns anschließend ansprach und Bla fragte, ob er solche Untersuchungen auch an Sand- und Natursteinen vornehmen könnte. Er sah darin kein Problem, die Methoden sind dieselben, und so begann eine neue Forschungsrichtung der Analytischen Baustoffmikroskopie.

1984 bin ich ans Institut für Härtereitechnik (iht) nach Bremen gewechselt und sollte dort die Elektronenstrahl -Metallografie weiter aufbauen. 1986 übernahm dieses Institut (mitterweile in Institut für Werkstofftechnik (IWT) umbenannt) die Aufgaben des Landesamtes für Baustoffprüfung Bremen. Der amtliche Prüfauftrag wurde um die metallischen Werkstoffe erweitert, und zusätzlich sollte Forschung betrieben werden. Die Institution wurde zur Amtlichen Materialprüfungsanstalt Bremen (MPA).

In dieser Situation war ich mal wieder in Münster zu einem Seminar über EDX (Energiedispersive Röntgenmikroanalyse). Ich traf Bla wieder und berichtete ihm von den Entwicklungen in Bremen. Seine spontane Reaktion war: "Habt ihr dort nicht ein Zimmerchen für mich, wo ich meine Baustoffmikroskopie ungestört weiter betreiben kann?". In Münster bekam er zunehmend Ärger mit der neuen Institutsleitung, Baustoffe und Natursteine gehörten nun einmal nicht zum Kerngeschäft eines medizinischen Instituts.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Mein Chef in Bremen, Prof. Mayr, war von der Idee begeistert, lieferten wir ihm doch eine neue Forschungsrichtung in der MPA, der BMBF (in personam Dr. Schulze) stellte Forschungsgelder in erheblichem Umfang in Aussicht, der Senat Bremen (als ein Stifter des IWT) baute ein neues "Laboratorium für Analytische Baustoffmikroskopie", eine namhafte Firma der Automobilindustrie (damals stellte sie den Vorstandsvorsitzenden des IWT)  übernahm die Planungskosten. Bla und ich nutzen die Chance, ein neues Forschungsgebiet zu etablieren und ein hochmodernens Elektronenmikroskopie-Labor einzurichten. 1989 wurde die Analytische Baustoffmikroskopie eröffnet. Bla zog sich 1993 aus der aktiven Forschung zurück und ich übernahm die Leitung der neu gegründeten Abteilung.

Meine Forscherlaufbahn als Baustoffmikroskopiker war gespickt mit Highlight, die sich bis zum Schluss aneinanderreihten. Angefangen mit der Entwicklung und Einsatz von Labormobilen, die mich und meine Mitarbeiter (zu Hochzeiten waren wir acht Wissenschaftler) zum Einsatz in ganz Deutschland und darüber hinaus brachten. Mein absoluter Höhepunkt war ein Projekt zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) zur Untersuchung der Terrakotta-Armee in China, die ich 1999 besuchen konnte.

2010 wurde ich in Personalunion auch noch mit der Leitung der Metallografie des Mutterinstituts IWT beauftragt. Dort konnte ich neben der Beschaffung einer Elektronenstrahlmikrosonde weitere Impulse in der Werkstoffanalytik setzen und beide Forschungsrichtungen (Baustoffe und Werkstoffe) miteinander verbinden. So konnte ich ganz zum Schluss noch einige Projekte zur Erhaltung von Orgelpfeifen aus dem 16. und 17. Jahrhundert durchführen.

2018 wurde das IWT in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen und zum dritten Mal umbenannt in "Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien (IWT)". Für das Institut ein Ritterschlag, und ich konnte meine wissenschaftliche Karriere als "Leibnizianer" beenden. Mit Bla blieb ich die ganze Zeit eng verbunden, er starb 2019 in Münster.

 

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